IMI-Analyse 2025/37
Sudan – Empörungs-Strohfeuer nach erwartbaren Gräueltaten
Der Genozid im Sudan flammt auf. RSF-Unterstützende Emirate bekommen weiter Waffen gegen Öl und Gas aus dem Westen.
von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 17. Dezember 2025
Für ein paar Tage schaute die ganze Welt wieder nach Sudan. Die gefürchteten Rapid Support Forces (RSF) haben nach 18 Monaten der Belagerung und des Aushungerns am 26. Oktober 2025 al-Fashir, die Hauptstadt Nord-Darfurs, eingenommen und damit den Regierungstruppen die letzte große Stadt des Gebiets entrissen. Wie zu erwarten war, massakrierten sie dabei auch tausende Zivilist:innen, überwiegend Zivilist:innen mit dunklerer Hautfarbe als die der sich als arabisch verstehenden Stämme.
Damals sprach man von mindestens 2.500 Getöteten. Jedoch seien, wie Mitarbeiterinnen des Norwegischen Flüchtlingsrats (NRC) gegenüber der Taz berichteten, bis Ende November erst 6000 Geflüchtete im nächstgelegenen Flüchtlingslager in der Stadt Tawila angekommen, wobei Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) zufolge rund 65.000 geflohen seien müssten. Allerdings seien die 75km durch die Wüste besonders für die Frauen und Kinder der ausgehungerten Bevölkerung ohne viel Proviant kaum zu Fuß zu schaffen. Auch der lokale Vertreter von Ärzte ohne Grenzen, Michel Olivier Lacharite, fragte sich „‘Wo sind all die Vermissten, die bereits monatelang Hunger und Gewalt in El Fasher überlebt haben?‘ Die wahrscheinlichste und erschreckende Antwort sei, ‚dass sie getötet werden’, wenn sie zu fliehen versuchten.“1
Satellitenbilder zeigen, dass um die Stadt Gräben ausgehoben wurden, die möglicherweise die Flucht erschweren sollten, aber wohl auch als Massengräber für Menschen, die auf der Flucht ermordet wurden, genutzt wurden. Mittlerweile errechnete das Yale Humanitarian Research Lab anhand von Satellitenbildern, dass rund 150.000 Menschen in al-Fashir „fehlen“ würden und wahrscheinlich Opfer eines der größten Massakers der Dekade wurden, so der Guardian.2 Ebenso wurden in dem Projekt rund 150 potentielle Massengräber ausgemacht.3 Britische Parlamentarier wurden wohl informiert, dass 60.000 Tote „konservative Schätzungen“ zu den Opfern seien.
Die Stadt Tawila nahe el-Fashir, wohin sich viele flüchteten, liegt in einer kleinen, von RSF-kontrolliertem Gebiet umgebenen Tasche, in der die Miliz Sudanese Peoples Liberation Movement (SPLM), die sich aus verschiedenen lokalen Ethnien rekrutiert, noch die Macht hält. (Auf Sudan.liveuamap.com sieht man dieses Gebiet inmitten des RSF-kontrollierten Gebiets.) Es wird jedoch befürchtet, dass die RSF nun ihren Fokus auf dieses Gebiet legen könnten, gerade wegen der internationalen Hilfsorganisationen, so Arjan Hehenkamp, Krisenleiter des International Rescue Committees für Darfur.4
Fortsetzung des Genozids von vor 20 Jahren
Unter dem Banner der Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM), sammelten sich in den 1980/90er Jahren Aufbegehrende verschiedener Ethnien, die gegen die anhaltende Marginalisierung und die Einführung der Sharia durch den Langzeitdiktator Omar al-Bashir rebellierten. Im heutigen Südsudan setzten sich die Kräfte (mit Rückendeckung aus dem Westen) damals durch, was zum Waffenstillstand 2005 und der Staatsgründung führte. In der westlichen Region Darfur hingegen konnte der Diktator durch die Aufrüstung der Janjaweed Milizen (sprich: Dschandschawied, bedeutet „berittene Teufel“), die sich aus den sich als ‚arabisch‘ verstehenden nomadischen Stämmen im Norden rekrutierten, den Aufstand niederschlagen. In diesem Zuge verübten die Janjaweed zwischen 2002 und 2005 einen Genozid an rund 300.000 Menschen, die meist zu den ethnischen Gruppen der Fur, Zaghawa und Masalith gehörten, die die lokale SPLM wohl hauptsächlich stützten.
Die Anführer der beiden sich heute gegenüberstehenden Streitkräfte, Mohammed Hamdan Dagalo aka ‚Hemedti‘ als Anführer der RSF und Fatah Abdel al-Burhan, der Kommandant der Streitkräfte und Übergangspräsident, waren beide maßgeblich an diesem Genozid beteiligt: Hemedti war einer der prominentesten Anführer der Janjaweed-Milizen und al-Burhan der Kommandant der sudanesischen Streitkräfte der Region Darfur.
Als die sudanesische Bevölkerung Ende 2018 dann gegen den Diktator al-Bashir aufbegehrte, führten die beiden einen Putsch gegen diesen an und setzten ihn fest. Doch dass deren neue Regierung kein Interesse an einer Einführung der Demokratie und einer partizipativen Politik hatte, wurde spätestens klar, als sie ein Protestcamp für die Einsetzung einer zivilen Regierung vor dem Hauptquartier des Militärs mit scharfer Munition beschossen und dabei über 140 Menschen töteten und etliche entführten und vergewaltigten. 2023 entzweite ein innerer Machtkampf um die Integration der RSF in das Militär al-Burhan und Dagalo und seitdem bekämpfen sie sich blutigst auf dem Rücken der Bevölkerung.
In dem Krieg wurden über 10 Millionen Menschen innerhalb des Sudans von ihren Häusern vertrieben. Weitere 3 Millionen Menschen flüchteten in die Nachbarländer, vorwiegend Tschad und Uganda, andere nach Libyen, um die Überfahrt nach Europa zu wagen. Da sowohl die RSF als auch die Armee Aushungern als gängige Methode zur Eroberung nutzten, war lange Zeit rund die Hälfte der ca. 40 Millionen Menschen umfassenden Bevölkerung von Ernährungsunsicherheit betroffen, ein Viertel – also über 10 Millionen Menschen – leidet Hunger. Das macht den Krieg im Sudan quantitativ zur weltweit größten humanitären Katastrophe – auch während in Gaza in einem viel kleineren Gebiet vielleicht noch schlimmere Umstände herrschen.
Die Belagerung von al-Fashir war wohl der Hotspot dieser humanitären Katastrophe, da hier rund eine Viertel Millionenen Menschen über 500 Tage lang abgeschnitten von der Außenwelt hungerten. Wie die Menschen in Gaza wurden sie völlig von den mächtigen, oft die Menschenrechte im Mund tragenden Ländern im Stich gelassen. Niemand gebot den offensichtlichen Kriegsverbrechern Einhalt. Dabei waren die Massaker bei der Eroberung al-Fashirs abzusehen. Bei der Einnahme der Hauptstadt West-Darfurs, al-Geneina, im Jahr 2023 wurden auch innerhalb weniger Tage Schätzungen zufolge rund 15.000 Zivilist:innen, größtenteils zur marginalisierten Ethnien Masalith gehörende Flüchtende, abgeschlachtet.
Bei der Einnahme des völlig entmilitarisierten Geflüchtetenlagers Zam Zam in der Nähe al-Fashirs im April 2025 kam es ebenso zu genozidalen Massakern besonders beispielsweise an einem von Zaghawa bewohnten Viertel, sowie zur Massenentführung junger Mädchen.5 Ähnlich lief es in Nordkordofan und im Bundesstaat Weißer Nil. Bei allen größeren Eroberungen massakrieren die RSF gezielt größere Mengen von Zivilist:innen mit ethnischer Zugehörigkeit als diskriminierendem Faktor.
Schon vor einem Jahr seien britische Politiker:innen wohl vor drohenden genozidalen Massakern bei einer Einnahme al-Fashirs gewarnt worden, hätten sich aber aus Geldgründen „für die am wenigsten ehrgeizige Option“ entschieden, was die Prävention von Massakern und sexueller Gewalt anging.6 Am 5. Mai 2025 verhandelte außerdem schon der Internationale Strafgerichtshof (IstGH) in Den Haag die Klage des Sudans gegen die VAE, denen der Sudan Beihilfe zum Genozid vorwirft, und wollte damit einen Stopp der kurz vorher öffentlich gewordenen Waffenlieferungen an die RSF erzwingen. Wegen einem Zusatz, den die UAE bei ihrer Unterschrift der Genozid-Konvention gemacht habe, könne das internationale Gericht jedoch keine „vorläufigen Maßnahmen“ gegen das Land ergreifen.7 Dies bedeutet jedoch, ähnlich des Falls gegen die BRD wegen Beihilfe zum Genozid, nicht unbedingt, dass eine spätere Strafverfolgung ausgeschlossen wäre.
BRD: Krokodilstränen und eigennützige Forderungen
Das Auswärtige Amt zeigte sich natürlich erschüttert über die Berichte von Gräultaten in al-Fashir. In einem Twitter-Post gibt es sich scheinbar enttäuscht und erschüttert: Die RSF hätten »öffentlich zugesagt, Zivilisten zu schützen« und müssten sich nun für ihre Taten verantworten.8 Doch wer die oben kurz angerissene Historie des Konflikts ansatzweise kannte, hätte gewusst, dass darauf nichts zu geben war. Und deutsche Initiativen, genozidale Handlungen im Sudan zu verhindern oder Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, sind eher mau…
Jedoch forderte Staatsministerin Serap Güler (CDU) kürzlich die humanitären Gelder für den Sudan zu erhöhen9 – obwohl genau ihre schwarz-rote Regierung diesen Posten im diesjährigen Haushalt weiter gekürzt hatte, nachdem der Posten auch im Haushalt 2024 von der Ampelregierung schon gekürzt wurde. (Dass diese Entwicklung Teil der auch als De-Zivilisierung verstandenen Militarisierung ist, muss wohl kaum hervorgehoben werden.) Somit sei der „Haushalt des BMZ zwischen 2023 und 2025 insgesamt um ein Viertel“ geschrumpft und die Ausgaben für humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amts alleine in diesem Jahr um über 50% gekürzt worden.10
Allerdings beschränkt sich die Argumentation für diese Forderung nach doch mehr Gelder für Humanitäres, die Güler wohl versucht unter den Parlamentarier:innen der Regierungsfraktionen zu bewerben, nicht auf das Mitgefühl für von schwerstem Leid betroffenen Mitmenschen. Nein, die humanitäre Hilfe müsse auch verstärkt werden, um Deutschland und Europa vor verstärktem Migrationsdruck aus der Gegend zu schützen. Hier werden Parallelen zu der „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 gezogen, als man ebenfalls (was damals kaum Thema der Debatte war) zwei Jahre zuvor die humanitären Hilfsgelder zusammengekürzt hatte.
Gewaltökonomie: Waffen- und Rohstoff-Geschäfte europäischer Firmen mit Genozid
Über Strategien, wie den Menschen im Sudan diese Gewalt und Vertreibung, dieser Krieg, insgesamt erspart werden könne, gibt es in den sonst doch immer gerne Handlungsfähigkeit beweisen-wollenden westlichen Staaten jedoch kaum eine Diskussion. Dabei ist längst klar welcher finanzielle Nexus die Gewaltökonomie der RSF aufrecht erhält: Dagalo und seine Netzwerke haben schon während der Zeit unter Omar al-Bashir den Großteil der Minen in der goldreichen Region Darfur unter ihre Kontrolle gebracht. Das dort gewonnene Gold wird hauptsächlich in die Vereinigten Arabischen Emirate exportiert, mit denen Dagalo schon gute Kontakte unterhält, seitdem er die Masse der Söldner für die VAE und Saudi Arabien in deren Krieg gegen Ansarallah im Jemen bereitstellte. Zeitweise wurden auch Tonnen von Gold nach Russland ausgeflogen, als die RSF noch mit den Söldnern der russischen Gruppe Wagner zusammenarbeitete. (Das russische Afrika Corps, Nachfolgeorganisation der Gruppe Wagner, kooperiert auch heute noch wie der RSF mit dem Söldnerheer des lybischen Warlords Khalifa Haftar.)
In „Zur politischen Ökonomie des Sudankriegs“ benennt der Autor Roman Deckert in der Zeitung Analyse & Kritik 18 Tonnen Gold, die als von der RSF kommend bezeichnet 2024 über Libyen und den Tschad in die VAE exportiert worden seien. Allerdings hätte die VAE auch aus dem sudanesischen Staat, also zu Gute von Dagalos Kontrahenten, 29 Tonnen Gold importiert. Eine professionelle, mit beiden Seiten handelnde Distanz attestiert Deckert den Emiraten deshalb keineswegs: „Dass die VAE die wichtigsten Unterstützer der RSF und damit auch die Hauptkriegstreiber sind, bestreitet – außer RSF- und VAE-Propagandist*innen – niemand ernsthaft“, schreibt er.11
Eine Studie des schweizerischen Hilfswerk Swissaid zitiert er ebenfalls, nach der die Schweiz zwischen Januar und September alleine über 316 Tonnen aus der VAE importiert habe. Zudem schreiben die Autoren der Studie, die den Goldschmuggel aus afrikanischen Kontinenten kritisiert, gehöre die Schweiz neben der VAE und Indien zu den Hauptimporteuren von nicht-deklariertem Gold aus Afrika.12 Dies bringe die dortigen Staaten und Menschen um den Surplus ihrer Rohstoffe, während sie jedoch den Schweiß und das Blut und die Tränen dafür zahlen.
Außerdem nimmt Deckert auch den schweizer Rohstoffkonzern Glencore in die Verantwortung, der durch korrupte Öldeals „den Tschad in den Ruin“ und somit auch in die Position als Waffenschmuggeldrehscheibe für die VAE getrieben habe.
Das doppelte, auf beiden Seiten unterstützende und profitierende Spiel, das Deckert den VAE nicht zuschreibt (sondern sie klar als RSF-Unterstützer sieht – während man es Russland ggf. vorwerfen könnte13), klingt jedoch bezüglich der deutschen Waffenexport in die Region an. Denn Deutschland habe, seinen Informationen zufolge 2024 Rüstungsgüter im Wert von fast 150 Millionen Euro an die VAE exportiert – und eben ähnlich viel an Saudi Arabien, das zu den Unterstützern der SAF unter al-Burhan zählt. In der weltweit anerkannten Rüstungsexportdatenbänken des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI sind weitaus geringere Zahlen veranschlagt: hier werden die Rüstungsexporte aus Deutschland in die VAE seit 2021 bis 2024 nur mit 15 Millionen Euro angegeben, ein Rückgang von noch 82 Millionen Euro zwischen 2016 und 2020. Nach Saudi-Arabien seien in den letzten vier Jahren Rüstungsexporte im Wert von 105 Millionen Euro gegangen – immerhin viel mehr als in die VAE, aber auch ein deutlicher Rückgang zu den vier Jahren zuvor (283 Mio.€).14
Trotzdem schaffen es wohl deutsche Waffen in die Hände der genozidalen RSF. So zeigen Recherchen von Report Mainz beispielsweise, dass RSF-Kämpfer auf Fotos mit deutschen G-36-Sturmgewehren von Heckler&Koch posieren. Aus Bulgarien sollen andererseits Mörsergranaten bei den RSF angekommen sein, die ursprünglich in die VAE exportiert worden seien, wie Videos zeigen. In einem Schützenpanzer der emiratischen Firma NIMR, die auch in den Händen der RSF gesichtet wurden, seien außerdem – neben Motoren aus England und Verteidigungssystemen aus Frankreich – auch Heiz-und Kühlsysteme des bayerischen Unternehmens Webasto verbaut.15
Natürlich müssen alle Rüstungsexporte, die wenn auch über Umwege in diesen Konflikt führen, sofort eingestellt werden. Genau in die andere Richtung geht dabei beispielsweise die Initiative des Ministers für Internationales des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Nathanael Liminski, der Anfang November (während die Massaker in al-Fashir noch liefen) nach Abu Dhabi reiste, um dort nach eigenen Angaben unter anderem „den engen Austausch … zu hochmodernen Verteidigungssystemen“ zu suchen.16 Doch die wirkliche ‚Smoking Gun‘, also der Nachweis für eine umfängliche Mitschuld, sind die deutschen Waffenexporte in diesem Ausmaß nicht.
Trotzdem könnten die VAE ihr dreckiges Geschäft mit der RSF ohne die westliche Unterstützung nicht durchführen. Denn wie andere „enge Verbündete“ und „strategische Partner“ des Westens, Israel und die Türkei beispielsweise, wurden keinerlei wirtschaftliche Sanktionen für deren Angriffskriege und Genozide verhängt – nur sehr wenige, offensichtlich involvierte Einzelpersonen und Firmen wurden sanktioniert.17 Nicht während des von Kriegsverbrechen gekennzeichneten Kriegs gegen Jemen und auch nicht beim jetzigen genozidalen Krieg im Sudan, die beide von den VAE und Saudi Arabien geführt und befeuert wurden, kamen die Europäer auf die Idee, ihre Einkäufe fossiler Energieträger aus (und Waffenexporte in) diesen beiden eigentlichen Schurkenstaaten zu beenden oder wenigstens mit solchen Drohungen Druck auszuüben.
Tatsächlich ist es genau dies, was sudanesische Offizielle, wie hier ein Lokalpolitiker aus Darfur, bei hiesigen humanitären Geberkonferenzen von westlichen Ländern fordern: mehr Druck auf die VAE.18
Weitere Spaltung des Sudans im westlichen Interesse?
Somit wäre es wohl zu oberflächlich, US-Präsident Donald Trumps Initiative und Aufruf zu einem Waffenstillstand einzig auf seine Obsession mit Friedenspreisen zurück zu führen. Tatsächlich hatte Dagalo kurz nach der Einnahme al-Fashirs und den damit verbundenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen „humanitären“ Waffenstillstand ausgerufen, und verweist dabei auf die Friedensverhandlungen der Quad-Gruppe (USA, Ägypten, Saudi Arabien und die VAE) und einem Friedensplan Trumps.
Al-Burhan, der nicht bereit war den Krieg nun nach einem strategischen Sieg der RSF zu pausieren oder zu beenden, wurde dafür unter anderem vom von Dagalo geschmeichelten Donald Trump gescholten. Laut al-Burhan seien die Pläne der Quad stets zu nah an denen der VAE bzw. denen „nachgeplappert“ und Trumps Friedensplan eliminiere die Armee, löse Sicherheitsagenturen auf und lasse die Miliz wo sie sei.19
Für Dagalo wäre ein Einfrieren des Konflikts nach der aktuellen Frontlinie vorteilhaft. Die RSF, die zu Anfang des Krieges gleich die Hauptstadt und andere strategische Gegenden wie den Staat Gezira, der als Kornkammer des Landes gilt, einnahmen, wurde in diesem Jahr aus diesen zurückgedrängt. Seitdem konzentriert sie sich – neben Drohnenschläge auf die weit entfernte staatliche Infrastruktur in Sudans neuer defacto Hauptstadt Port Sudan20 – auf die komplette Einnahme der Regionen Darfur und Kordofan, von denen sie schon große Teile kontrolliert.
Die Einnahme al-Fashirs als letzte von der Armee gehaltene Großstadt in ihrem Gebiet war in diesem Sinne ein Meilenstein für ein Kerngebiet, in dem die RSF dann die oberste Autorität hat. Viele Beobachter erwarten außerdem seit einer Weile die Einnahme der Stadt al-Obeid, Hauptstadt des Bundesstaats Nordkordofan, die die RSF bis auf eine Straße mittlerweile auch umzingelt halten. Drohnenangriffe auf die Hauptstadt Südkordofans, Kadugli, bei denen Mitte Dezember sogar sechs UN-Blauhelmsoldaten aus Bangladesh starben,21 zeigen jedoch, dass die RSF ihr Gebiet hier gerne auch noch erweitern würde – und wieviel ihr Waffenstillstand wert ist.
Aus antimilitaristischer Sicht klingt jeder Waffenstillstand und vielleicht gar ein Frieden durch Teilung attraktiv. Und tatsächlich ließen sich die zivilgesellschaftlichen Gruppen im Sudan daran einteilen, ob sie eher eine baldigen Waffenstillstand oder einen Sieg der Armee über die RSF befürworten.22 Eines allerdings scheinen die jungen Sudanes:innen, mit denen der Autor sprach oder deren Aussagen in sozialen Medien vernommen wurden, klar zu wissen: dies ist kein Bürgerkrieg, wie es in westlichen Medien immer wieder bezeichnet wird. Kaum jemand in der Bevölkerung sieht sich wegen ideologischen oder anderen Faktoren auf der einen oder der anderen Seite des Konflikts. Es gibt nur Pest und Cholera. Al-Burhan, der den alten Staat und die Armee anführt, repräsentiert das alte System. Wie er stammen viele Beamte aus der Zeit von Omar al-Bashirs Diktatur und auch die Muslimbruderschaft, die hinter al-Bashir lange die Fäden zog, ist hier weiter mächtig. Und auch die SAF beging Massaker an Zivilist:innen.23 Doch Dagalos Versuch, sich als Bastion gegen den Islamismus und somit irgendwie progressive (wenn auch wahrscheinlich nicht demokratische) Alternative zu inszenieren, nimmt ihm niemand ab. Die Sudanes:innen kennen seinen mit dem Blut von Kriegsverbrechen und Genoziden überschwemmten Werdegang. Sie wissen, was der Bevölkerung Darfurs droht, wenn die RSF ihre Macht über die Region weiter festigt: Das was für alle schon seit zwei Jahren offen sichtbar in dem Konflikt geschieht.
Der Westen und das Kapital gegen Selbstbestimmung
Besonders linke Sudanes:innen, Anarchist:innen, Kommunist:innen und andere Revolutionäre, sehen in dem Krieg insgesamt den Versuch, sowohl der verschiedenen alten inneren Eliten, wie auch der internationalen Kapitalisten besonders auf der arabischen Halbinsel aber auch des Westens, ihre Revolution von 2019 zu zerstören und weitere Kämpfe für Demokratie und Umverteilungen zu verhindern. In ihren Augen könne der Kampf für Befreiung jedoch nur nach einem Ende des Kriegs, aber auch nur gegen und unter dem staatlichen System al-Burhans stattfinden. Unter der Gewaltherrschaft der RSF seien solche zivilen Kämpfe nicht zu denken.
Während hier im Westen selbst unter denen, die gerne Aufmerksamkeit für den Sudan und ein Ende der Gewalt dort schaffen möchten, Verwirrung bezüglich der Interessen der Akteure, möglicher Ansatzpunkte unserer Regierungen und Forderungen an diese bestehen, sind sudanesische Gruppen hier klarer. So benennen zum Beispiel Mitglieder der Gruppe Decolonize Sudan die VAE als amerikanischen Proxy seit Gründung des Emirats, dessen Monarchen-Clan ausgestattet mit unglaublichem Reichtum gegen US-Hörigkeit selbst imperial auf dem afrikanischen Kontinent agieren können.24 Der Schulterschluss des Westens mit den arabischen Öl-Monarchien ist demnach nichts als eine Weiterführung des Kolonialismus – wobei man aber die „Drecksarbeit“ diesen Verbündeten überlässt, auf die man dann mit dem Finger zeigen kann ohne sie zu stoppen.
Anmerkungen:
1 Satellitenbilder lassen anhaltende Massentötungen vermuten. taz.de 1.11.2025
2 Mark Townsend: RSF massacres left Sudanese city ‘a slaughterhouse’, satellite images show. theguardian.com 5.12.2025
3 Satellite images show 150 sites consistent with mass graves in Sudan’s El Fasher. sudantribune.com 16.12.2025
4 Simone Schlindwein: 250.000 Menschen spurlos verschwunden. taz.de 7.11.2025
5 Mark Townsend: ‘They slaughtered us like animals’: the inside story of how one of the biggest atrocities of the Sudan war unfolded in Zamzam. theguardian.com 7.8.2025
6 Mark Townsend: UK rejected atrocity prevention plans for Sudan despite warning of possible genocide. theguardian.com 7.11.2025
7 International Criminal Court of Justice: The Court rejects Sudan’s Request for the indication of provisional measures and orders that the case be removed from the General List. icj-cij.org Press Release No. 2025/24, 5.5.2025
8 Auswärtiges Amt erschüttert über Berichte zu Gräueltaten der »reitenden Teufel«. spiegel.de 28.10.2025
9 Barbara Schmidt-Mattern: Staatsministerin Güler fordert mehr Hilfe für Bürgerkriegsopfer. deutschlandfunk.de 22.10.2025
10 Welthungerhilfe & Terre des Hommes: Entwicklungsfinanzierung – Aufstocken statt zurückfahren! welthungerhilfe.de Kompass 2025; sowie: Marcel Fürstenau: Deutschland kürzt Entwicklungshilfe drastisch. dw.com 18.9.2025
11 Roman Deckert: Zur politischen Ökonomie des Sudankrieges. akweb.de 18.11.2025
12 On the trail of African gold. swissaid.ch (abgerufen: 15.12.2025)
13 Pablo Flock: Drohender Genozid im Sudan. IMI-Standpunkt 2024/011. imi-online.de 11.6.2024, zuvor erschienen in: junge Welt, 8.6.2024
14 Arms transfer database: Exports from Germany per receiving country 2016-2020, 2021-2024 SIPRI armstransfers.sipri.org (abgerufen: 15.12.2025);
Eher herausragend sehen bei SIPRI die Rüstungsexporte Deutschlands nach Ägypten aus, einem weiteren Unterstützer der sudanesischen Streitkräfte unter al-Burhan, die mit Rüstungsimporten aus Deutschland im Wert von 1,2 Milliarden Euro sogar 18% der deutschen Exporte bekommen.
15 Report Mainz: Deutsche Gewehre im Sudan – europäische Waffen für die Rebellen? ardmediathek.de 18.11.105
16 „Konstruktive Kräfte“ german-foreign-policy.com 3.11.2025
17 Treasury Designates Entities and Individual Exacerbating Sudan’s Instability home.treasury.gov 28.9.2023
18 SLM leader urges Germany to press UAE to stop ‘aggression’. sudantribune.com 16.12.2025
19 Sudan’s RSF declares truce after army rejects US plan france24.com 24.11.2025
20 Barbara Plett Usher: Drone attacks raise stakes in new phase of Sudan’s civil war. bbc.com15.5.2025
21 Six peacekeepers laid to rest following deadly drone attack in Sudan. news.un.org 15.12.2025
22 Siehe letzte Absätze von: Pablo Flock: Viel Gerede – ohne Aussicht auf Frieden im Sudan imi-online.de IMI-Standpunkt 2024/17. 31.7.2024 – zuvor in junge Welt, 25.7.2024
23 TheNationalUAEchannel: Die sudanesische Armee massakrierte nicht-arabische Zivilisten… youtube.com 16.12.2025. Der Kanal des VAE nahen Mediums The National verweist hier auf eine Untersuchung von Lighthouse report und CNN.
24 Decolonize Sudan: What’s happening in Sudan? youtube.com 22.9.2025
